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Kultur und Wirtschaft II: Unternehmertum

Von Wolfgang Böhler

 

31.07.2009 — Bedauerlicherweise verstehen nicht wenige Künstler ihr Schaffen als eine Art Gegenentwurf zu einem angeblich verwerflichen Wirken derjenigen, die das Wirtschaftsleben im Fluss halten. Die Verteufelung des Unternehmers hat unter Kulturschaffenden Tradition, man denke an Beispiele wie Brechts «Puntila und sein Knecht Matti» oder daran, dass im Umfeld der 68er-Ideologie nationalökonomisch existenzielle Mechanismen wie die Notwendigkeit, mit einer Firma Gewinn zu erzielen, unter dem Generalverdacht der Ausbeutung des ach so gebeutelten Volkes standen.

Die Missverständnisse sind allerdings durchaus gegenseitiger Natur. Selbst heute scheinen nämlich grosse Teile der bürgerlichen Wirtschaftspolitiker geistig noch im Kalten Krieg zu stecken. Statt die Chancen der an wirtschaftlicher Bedeutung ständig zunehmenden Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe zum Beispiel diese Meldung) zu sehen, verstehen sie Kunst- und Kulturschaffende als ahnungslose und lästige Nörgler. (Weit weg von der Qualifizierung der Intellektuellen als «Ratten und Schmeissfliegen» durch den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Joseph Strauss ist man auch heute nicht). Diese wiederum bedanken sich mit dem Beharren auf ihrer Fundamentalopposition gegenüber allen Formen unternehmerischen Denkens.

Da wird aber eben gerne unreflektiert der angebliche (Geld-)sack Unternehmer geschlagen, wenn der Esel Manager gemeint ist, der ohne eigene Risiken hochdotierte Posten antritt, mit fremden Besitz wuchert und sich selbst den Reinfall mit einem goldenen Fallschirm vergüten lässt. Der Unternehmer nämlich, der mit seinem eigenen Vermögen, seinem gesellschaftlichen Ruf und nicht selten mit seiner Gesundheit für Innovations-Risiken geradesteht, ohne die echter Fortschritt nicht möglich wäre, ist durchaus ein Geistesverwandter des Künstlers.

Aufgrund höchst lückenhafter Kenntnis des Neulandes, das er betritt, muss er ohne solide Orientierungsmittel existentielle Entscheide treffen, von denen er nicht weiss, ob sie ihn zum Erfolg oder direkt in den Ruin führen. Scheitert er, so sind ihm als «Pleitier» Verachtung und Misstrauen der Gesellschaft und ein Leben in Armut genauso sicher wie dem unverstandenen Künstler. Höchstens der Vorwurf der Faulheit bleibt ihm erspart. Aber ohne seine Innovationskraft wäre der allgemeine Wohlstand der Bevölkerung undenkbar.

Die Existenzängste vieler selbständiger Kleingewerbler unterscheiden sich nicht von denen eines unabhängigen Kulturschaffenden, und auch die fundamentalen Strategien des Unternehmers sind weitgehend dieselben wie diejenigen des Künstlers: hartnäckige Neugier, hohe Sensibilität für die Umwelt, Intuition und die Bereitschaft, bewährte Regeln zu brechen, ohne zu wissen, wohin dies führen wird – das sind genauso die Voraussetzungen dafür, berührende Kunst zu schaffen wie neue Märkte und Geschäftsmodelle zu erschliessen.

Auf diese inneren Verwandschaften zwischen Unternehmertum und Künstlerschaft weist der (gescheiterte) Unternehmer Axel Glöggler – Erbe eines 1976 Konkurs gegangenen grossen deutschen Textil-Konzerns, den er mitgeleitet hat, hin – in dem Buch «Unternehmer – Verkannte Elite? Von der Kleptokratie zur Meritokratie» (Verlag Olms 2009). Mit Blick auf Heiner Goebbels (wenig erfolgreiches) 2004 in Lausanne realisiertes Opernexperiment «Eraritjaritjaka» erinnert er etwa daran, dass es um den «Fortschritt von Kunst und Wissenschaft, Theater und Geschäftsleben schlecht bestellt wäre, bezöge sich Kreativität nur immer darauf, angemessene Lösungen zu präsentieren».

Er zeigt aber auch Parallelen in den Marktstrategien des unverfrorenen Selbstvermarkters Mozart und des früheren Chrysler-Chef Lee Iacocca auf, die beide ihre erfolgreichen Unternehmensstrategien auf Improvisation und Inspiration bauten. (wb)

Der Musikphilosoph Wolfgang Böhler (M.A.) studierte an der Universität Bern Wissenschaftstheorie, Mathematik und Musikwissenschaft. Er ist Chefredaktor des Codex flores Onlinemagazins.

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