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Veröffentliche Beiträge in “Editorials”

Die Rettung der Welt aus dem Geiste der Musik

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler09.09.2017 -- Ich mag die zeitgenössische Klassik (das Erbe dessen, was mal Neue Musik hiess, man kann’s auch europäische Kunstmusik der Gegenwart nennen oder meintwegen irgendwie). Es gab in den vergangenen Jahren Werke – Uraufführungen (Dieter Ammann), oder Ikonen der jüngsten Musikgeschichte (etwa von Klaus Huber oder Heinz Holliger) – die mich fasziniert haben. Zu andern Werken hatte ich weniger Zugang, aber das ist ja normal. Eines allerdings ist mir aufgefallen: Je hermetischer und elitärer ein Werk sich gibt (die Adorno-Paraphrase im Umstellen des Reflexivpronomens erkannt?), umso unerbittlicher wird der Anspruch seiner Schöpfer und Verfechter auf Erkenntnisrelevanz und Wertigkeit – bis zum Extrem, in dem sich das Werk den Hörenden ganz verweigert, aber von ihnen alles an Gesinnungsethik fordert.

Verarmt das Feuilleton immer mehr?

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler23.08.2017 -- Tamedia hat angekündigt, die Redaktionen ihrer Tageszeitungen – unter anderem «Tages Anzeiger», «Bund» und «Berner Zeitung» – zu fusionieren. Dies weckt Befürchtungen, die traditionelle Printberichterstattung zur Kultur könnte gefühlt noch mehr verarmen. Insbesondere Kulturinstitutionen in Städten wie Bern, die (mit den Tamedia-Blättern «Bund» und «Berner Zeitung») fast ausschliesslich von Titeln eines Zeitungsverlags bedient werden, müssen damit rechnen, kaum noch auf dem Radar eines lokalen Feuilletons zu sein. Man kann dies allerdings bloss dann als Leistungsabbau verstehen, wenn man das Modell des 19. und 20. Jahrhunderts vor sich sieht, in dem eine (sehr) überblickbare Menge an Veranstaltern eine (sehr) überblickbare Menge an Veranstaltungen veranstaltete und es ein paar wenigen Berichterstattern in Form von Redaktoren und freien Mitarbeitern möglich war, deren Aktivitäten mehr oder weniger lückenlos mit Vorschauen, Hintergrundberichten und Kritiken zu begleiten. Das waren dann das Stadttheater, das Symphonieorchester, ein paar Chöre und Kammerensembles, vielleicht ein, zwei Jazzclubs und eine Handvoll Kinos.

Unvereinbare ästhetische Grundhaltungen

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler08.07.2017 -- Das Musikleben prägt ein fundamentales zwischenmenschliches Missverständnis. Es ist Folge unterschiedlicher, ja gar konträrer Grundhaltungen zwei sozialer Kulturen gegenüber der Musik: Die eine könnte man als Sich-selber-Ausstellen bezeichnen, die andere als Sich-selber-Zurückstellen. Erstere hat kreative, disruptive, aber auch narzisstische Züge, letztere identitätsfestigende, Werte vergewissernde, aber auch abgrenzende Züge. Zu den ersteren gehören die urbanen Jugendkulturen, die diversen Star- und Geniekulte und die elitären Avantgardeszenen, zu den letzteren Volksmusikszenen, traditionelle bürgerliche Musikvereine und die Kirchenmusik.

Musikvermittlung und die Leitkultur in der Schule

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler24.06.2017 -- Schon seit längerer Zeit beobachten wir eher mit Sorge die tendenzielle Verlagerung der Musikerziehung von der Schule zu externen Angeboten der Musikvermittlung. Da von den hoch subventionierten Kulturinstitutionen, den Theatern, Orchestern, Musikhochschulen, Opernhäusern, erwartet wird, sich zu legitimieren, übernehmen sie mehr und mehr diese Funktion. Die Qualität der entsprechenden Angebote steht dabei gar nicht zur Debatte, das Problem ist eher, dass sich die Deutungshoheit über die Musik für die Kinder von der Schule zu diesen Einrichtungen verlagert. Die Sehnsuchtsorte der Schülerinnen und Schüler sind damit immer weniger die lokalen Musikvereine, die partizipativ, integrierend und identitätsstiftend wirken. Vielmehr werden die professionellen, an globalen Märkten orientierten, elitären Leuchttürme zur Leitkultur.

Kulturförderung ist Umverteilung von unten nach oben

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler10.06.2017 -- Man fragt sich, weshalb eigentlich noch nie jemandem aufgefallen ist, dass unser System der Kultursubventionierung eine gigantische Umverteilung von unten nach oben darstellt. Schlimmer noch: Die welche profitieren, machen sich über die, welche leer ausgehen, auch noch lustig. Die grossen Kulturtempel der Ober- und oberen Mittelschicht, die Opernhäuser, Kunstmuseen, klassischen Orchester und Theater, verschlingen das meiste Geld; die Kleintheater, Literaten, Kinos, Konzertlokale der Mittelschicht räumen den Rest ab. Leer gehen die Zulieferer des Plebs aus: Schlager, Volksmusik, Musicals... Ihre Vertreter produzieren in den Augen der Hablichen kulturelle Minderware und füllen sich damit auf Kosten ihres naiven Publikums bloss die eigenen Taschen.

Umwertung der Werte im 21. Jahrhundert

Porträt Wolfgang Böhler27.05.2017 -- Irgendwie läuft das mit den Regeln aus dem Ruder: In der guten alten Zeit, in der natürlich alles besser war,  hassten es Kinder, in der Schule Regeln lernen zu müssen: Orthografie, Einmaleins, Stillsitzen, Schönschreiben, Solmisation, Ordnung haben im Schreibpult, eine Kletterstange hochkommen, Dinge genau beobachten, präzise beschreiben und abzeichnen... lauter Kulturtechniken, Kompetenzen ‒ und Fähigkeiten, um in Teams zuverlässige und nützliche Arbeit zu verrichten. Daneben gab es jede Menge unregulierte Freiräume, draussen in der Natur, in der Freizeit, in autonomen Kindergesellschaften. Das heisst, es gab mal eine Erziehung einerseits zum geschickten Umgang mit Wissen und Können und andererseits zur selbstverantwortlichen individuellen Freiheit.

Zum Tode Joachim Kaisers

Porträt Wolfgang Böhler13.05.2017 --Mit Joachim Kaiser (den wir sehr geschätzt haben) ist eines der letzten Urgesteine einer ästhetischen Epoche von uns gegangen: Kaiser stand für einen bestimmten Typus des Kritikers: Er hängt die Trauben derart hoch, dass bloss noch eine ganz kleine Elite für sich in Anspruch nehmen darf, Musik wirklich zu verstehen. Kaisers Wirken verstand Musik als Übung, ähnlich des im Geiste verwandten Zen-Buddhismus, der Erleuchtung bloss nach jahrelangen hartnäckigen Exerzitien behauptet. Wie dem Zen-Buddhismus ist dem Verstehen der Musik kaiserschen Prägung ein Ergründen der Welt eigen, das Eingeweihte und Ahnungslose unterscheidet.

Zwei Paradigmen der Innovation

Porträt Wolfgang Böhler19.02.2016 -- In der aktuellen Kulturpolitik gilt für die Charakterisierung von Innovation ein mittlerweile kaum mehr hinterfragtes Innovations-Paradigma. In der Ökonomie nennt man es ein disruptives Modell: Es zielt auf Negation und Zerstörung von Bisherigen. Im kulturpolitischen Jargon wird dabei in der Regel von «Widerständigem», «Querständigem», «Aufrüttelndem», «Prophetischem» oder «Provokativem» gesprochen. Man erwartet von förderwürdigen Projekten, dass sie «Althergebrachtes in Frage stellen, negieren oder als Festgefahrenes demaskieren» und geht davon aus, dass Künstler eine Art Hellsichtigkeit für tieferliegende gesellschaftliche Entwicklungen haben.

Suisa-Attacke mit Durchsetzungs-Interpellation

von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler06.11.2015 -- Der Tessiner Lega-Nationalrat Lorenzo Quadri führt einen recht einsamen parlamentarischen Kampf gegen die Schweizerische Gesellschaft für die Rechte der Urheber musikalischer Werke (Suisa). Im Juni 2014 hat er eine Interpellation eingereicht, für die er gerademal seine Lega-Kollegin Roberta Pantani als Mitunterzeichnerin hat gewinnen können. Er kämpft dagegen, dass die Suisa das französische Yacast-System zur Erhebung von gespielten Titeln in Diskotheken einsetzt. Es handelt sich dabei um eine Box, die in den Raum horcht, Stücke erkennt und zur Abrechnung notiert. Der Bundesrat hat sich hinter den Entscheid der Suisa gestellt und die Interpellation abgeschrieben.

Eine dritte Aufklärung tut not

Von Wolfgang Böhler

 

Porträt Wolfgang Böhler23.10.2015 – Einst erklärte uns die Kirche als Autorität die Welt. Sie bestimmte die Gesetze, nach denen wir ein ihrem Glauben zufolge gottgefälliges Leben zu leben hatten. Sie tat dies nicht aufgrund besserer Argumente und der von Neugier genährten Erfahrung demütiger Weltenergründer. Sie tat es aufgrund metaphysischer Besserwisserei. Derer, die beeindrucken, weil sie dringlich zu predigen verstehen ‒ und beschwören, in Sorge um die Welt zu sein, die ohne ihre gnädige Zuwendung in Sünd‘ und Leid versinken würde. Die Aufklärer des späten 18. Jahrhunderts rüttelten am morschen Gebäude und wiesen ihren Mitmenschen den Weg aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.